DIE KLEINEN DINGE SEHEN …

Ein Interview mit Dr. Christiane Ohl und Jürgen Goldmann. Dr. Christiane Ohl, Dipl. Biologin, seit 1997 Geschäftsführerin von Lighthouse e.V. und Jürgen Goldmann, Dipl. Sozialpädagoge, sind beide seit 1994 bei Lighthouse tätig.

Welche Idee verbirgt sich hinter Lighthouse?

Jürgen Goldmann: Ursprünglich stand der Begriff Lighthouse für Hospize, die gegründet wurden, um eine umfassende Versorgung und ein breites Leistungsspektrum für AIDS-Patienten, Angehörige und Freunde zu bieten. Das erste europäische „Lighthouse“ entstand Ende der 80ziger Jahre in London. Weitere folgten in Großstädten wie Zürich, Basel, Wien, Berlin etc. Kennzeichnend für die Idee ist lediglich der Name, die einzelnen Vereine sind nicht miteinander vernetzt. Das Bild des Leuchtturms steht für sich.
Die Gründerin unseres Vereins, Irmgard Wester, hat in Basel hospitiert und die „Lighthouse –Idee „ zu Beginn der 90ziger Jahre nach Bonn geholt. Von Anfang an wurden in Bonn jedoch auch Menschen mit schweren Tumor- oder anderen Erkrankungen aufgenommen, um eine „Ghettobildung“ zu vermeiden.
Dennoch sind wir den Wurzeln der Lighthouse Bewegung treu geblieben und sehen den Schwerpunkt unserer Arbeit in der Begleitung von Aidskranken Menschen und deren Angehörigen, nicht nur mit dem Hospizgedanken, sondern auch in der Auseinandersetzung mit gleichgeschlechtlichen Lebensformen und mit einer anderen als ausschließlich abstinenzorientierten Drogenpolitik. Es wird versucht, eine akzeptierende Drogenarbeit zu unterstützen, ohne diese als Königsweg zu sehen, sondern mit dem Wissen, was es bedeutet, langjährig schwerst drogenabhängig zu sein und den Menschen ein entsprechendes Hilfsangebot anzubieten.

Wie wird dieses Konzept hier in ihrem Verein umgesetzt?

Jürgen Goldmann: Bonn Ligthouse e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der 1992 gegründet wurde und in drei Arbeitsfeldern tätig ist. Der größte Bereich ist unser ambulantes Wohnprojekt, Hier begleiten wir chronisch erkrankte, vorrangig jüngere Menschen, die mit HIV infiziert sind, an AIDS, Multiple Sklerose, Krebs oder anderen unheilbaren Erkrankungen leiden. Darüber hinaus bietet der Verein seit 2002 einen ambulanten Hospizdienst , sowie eine Patienten- und Angehörigenbegleitung auf einer Station der Universitätsklinik Bonn an

Dr. Christiane Ohl: Für unser Klientel ist die ambulante Wohnform, wie Bonn Ligthouse sie anbietet, sinnvoller als ein stationäres Hospiz. Wir bieten Beratung und Betreuung für 16 Betroffene in eigenen Appartements an. Die meisten der hier lebenden Menschen brauchen schon früh eine Wohnform, in der eine adäquate Versorgung und eine angemessene Pflege gewährleistet ist. Viele Betroffene kommen aus Verhältnissen, die zu Hause keine Pflege ermöglichen. 80% der Menschen, die hier leben, kommen aus sozialen Randgruppen. Wohnraumstellung und ambulante Begleitung, das ist das Konzept.

Welche Besonderheiten und Ziele ergeben sich aus diesem Konzept?

Dr. Christiane Ohl: Das Besondere ist, dass die Menschen nicht acht Wochen vor dem Tod zu uns kommen, sondern in der Regel schon dann, wenn eine lebensbedrohliche Erkrankung mit fortschreitendem Verlauf und einer Einschränkung der Lebenserwartung vorliegt und sie nicht mehr zu Hause versorgt werden können. Wenn die Betroffenen es wünschen, können sie bis zu ihrem Tod bei uns bleiben. Der kürzeste Aufenthalt eines Patienten war 48 Stunden, der längste 9 ½ Jahre.
Die Menschen kommen zu uns und werden zunächst von den sozialpädagogischen Fachkräften begleitet und betreut. Häufig werden dann externe Sozialstationen eingebunden, die die ambulante Pflege übernehmen. Bei einigen Patienten arbeiten wir auch eng mit z.B. Ergotherapeuten, Logopäden oder Psychotherapeuten zusammen. Das besondere an unserem Konzept ist, zum einen die lange Begleitungszeit und zum anderen das Alter der Patienten, die in der Regel relativ jung sind.

Sie sind beide in der Begleitung und Ausbildung der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig. Aus dem Konzept ergeben sich Besonderheiten. Wie berücksichtigen Sie diese in ihren Befähigungskursen?

Dr. Christiane Ohl: 2/3 der Bewohnerschaft, die an AIDS leiden sind Drogen gebrauchend und somit ist das Thema Sucht ein sehr wichtiges. Menschen, die langzeit- und schwerstabhängig sind, haben in der Regel bis zu ihrem Tod mit ihrer Sucht zu tun und damit müssen die Mitarbeitenden umgehen können. Menschen, die drogenabhängig sind, aber nicht an AIDS leiden, sondern an Hepatitis oder einer fortgeschrittenen Leberzirrhose erkrankt sind, leben auch hier. Das macht deutlich, dass wir hier ein anderes Klientel haben, als in anderen Hospizdiensten allgemein üblich und darauf werden die ehrenamtlich Mitarbeitenden vorbereitet.

Jürgen Goldmann: Leben mit der Sucht stellt die Mitarbeiter vor besondere Herausforderungen. Es geht häufig nicht so sehr um Biografiearbeit oder andere Angebote, die wir mit Sterbebegleitung verbinden, sondern vielfach darum, mit dem Suchtdruck der Patienten um zu gehen. So paradox das auch klingen mag und das sage ich aus meiner ganz persönlichen Erfahrung: Es geht nicht selten darum, das Schlimmste zu vermeiden und das macht es nicht immer möglich, das vielleicht Beste zu erreichen. Eine gute pflegerische und medizinische Versorgung zu gewährleisten mit einer würdevollen und menschlichen Begleitung und dabei stets im Blick zu haben, die Menschen in ihrer individuellen Lebenswelt zu akzeptieren!. Das ist das große Thema.

Wie werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diese besondere Situation vorbereitet?

Dr. Christiane Ohl: Schon in den ersten Gesprächen wird dieser Schwerpunkt klar gemacht und jeder muss dann für sich entscheiden, ob er das kann und will. In den Befähigungskursen gibt es diverse Einheiten zum Thema Sucht. Weitere Themen sind z.B. gleichgeschlechtliche Lebensformen, HIV und AIDS. Medizinische Hintergründe zu verschiedenen Erkrankungen, wie z.B. Tuberkulose, Multiple Sklerose, Hepatitis sind ebenso Teil der Befähigungskurse. Es geht uns dabei immer um Aufklärung und Verständnis, denn wenn ich über eine Erkrankung und deren Ausprägung bzw. Erscheinungsbild gut informiert bin, kann ich auch besser damit umgehen.
Eine weitere Besonderheit bei uns ist, dass unser Klientel in der Regel recht jung ist und in Begleitungssituationen haben die Ehrenamtlichen es vielleicht mit jemanden zu tun, der deutlich jünger ist, als sie selbst. Auch das müssen die Mitarbeitenden aushalten können. Diese Schwerpunkte setzten eine engmaschige Begleitung der Ehrenamtlichen voraus. Es gibt also regelmäßige Praxisbegleitung, interne Fortbildungen und Einzel- oder Teamsupervisionen. Ein vorbereitender Befähigungskurs umfasst 130 Unterrichtsstunden und Hospitationsphasen.

Sind denn bei Ihren Begleitungen das Sterben und der Tod wichtige Themen?

Jürgen Goldmann: Das ist sehr unterschiedlich. Im Wohnprojekt stehen Aspekte des Lebens und seiner Bewältigung im Vordergrund. Die Auseinandersetzung unserer Bewohner mit Sterben und Tod findet erfahrungsgemäß oft hinter der Alltäglichkeit oder erst kurz vor dem Lebensende statt. Wobei ich mich ernsthaft frage: Ist dies bei konventionelle Hospizarbeit wirklich so anders? Ich denke, die Antwort lautet nein. Unsere Arbeit hat manchmal etwas von einer Goldschürfermentalität, man muss die kleinen Dinge sehen und daran anknüpfen. Das setzt bei uns Mitarbeitenden die Bereitschaft voraus, offen zu sein und offen zu bleiben.


Die Geschäftsführung von Bonn Lighthouse: Dr. Christiane Ohl und Dipl.-Pädagoge Jürgen Goldmann