„WENN ICH IHN MIR WÜNSCHEN KÖNNTE:
EIN ORT ZUM STERBEN“

mp3 der Sendung "Hallo Ü-Wagen" vom 10.10.2009

von Frank Spiekermann

Manchmal ist das Leben doch ein wenig ungerecht oder zumindest Petrus. Denn die Tage vor und nach Samstag, den 10.10., waren wundervoll, Indian Summer auf Neudeutsch. Aber kaum hatte der WDR seine Zelte im wahrsten Sinne aufgeschlagen, goss es in Kübeln vom Himmel. Bis, und das nahm nicht nur ich persönlich, kurz vor Ende der Sendung!

Anlässlich des Welt-Hospiz-Tages hatte – unter Federführung Herrn Surges aus Rheinbach- das Hospizforum Bonn/Rhein-Sieg (ein Netz der in Bonn und im Rhein-Sieg-Kreis tätigen Hospiz-Organisationen) die „Hallo Ü-Wagen“-Sendung mit dem Titel: „Wenn ich ihn mir wünschen könnte: Ein Ort zum Sterben“ angeregt.

„Hallo Ü-Wagen“ ist eine Institution im deutschen Hörfunk. 1974 lief die erste Sendung über den Äther von WDR 2, ab 1995 über WDR 5, stets live. Ein Übertragungswagen (kurz Ü-Wagen) des WDR fährt an einen Platz in Nordrhein-Westfalen, meistens eine Stadt, und von dort wird eine Sendung zu einem bestimmten Thema live ausgestrahlt. Die Themen werden von der Redaktion nach Wünschen der Hörer ausgewählt. Zu den Themen werden Experten und betroffene Menschen eingeladen, die sich zum Teil selbst melden. Redaktionell werden hier Pro- und Contra-Fraktionen gebildet, um eine Diskussion in der Sendung zu fördern.

Eröffnet wird die Sendung mit dem Verlesen von Leserpost zu vorangegangenen Sendungen. Dann wird das „Expertenteam“ vorgestellt und über die erste Fragestellung der Moderatorin an einen der Anwesenden wird die Runde eröffnet. Das vor dem Ü-Wagen vorhandene Publikum wird immer wieder in die Gespräche der Experten einbezogen und in einigen Sendungen ist eine Beteiligung über Telefon möglich. Die Moderatorin zeigte schnell auf, wie viele Teilaspekte die Problematik „Eigenverantwortliches Sterben“ mit sich bringt. Was ist die Palliativmedizin? Wie steht es um die ärztliche Versorgung Sterbender im Allgemeinen? Patientenverfügung, Vorteile des Hospizwesen, ungenaue Gesetzgebung – da kann man schnell den Überblick verlieren.

Zurück zum verregneten Friedensplatz, wo der WDR dankenswerterweise zwei große Pavillons und heißen Kaffee mitgebracht hatte. In der „Expertenrunde“ vertrat unsere Geschäftsführerin, Dr. Christiane Ohl, nicht nur Bonn Lighthouse, sondern auch den Hospiz- und Palliativverband NRW und das Hospizforum Bonn/Rhein-Sieg. An ihrer Seite diskutierten Prof. Lukas Radbruch, Palliativmediziner, Uniklinik Aachen und Matthias Hoffman Soziologe, Uni Trier. Herr Bardenheuer berichtete als betroffener Angehöriger von der konkreten Sterbebegleitung seiner Schwester durch die gesamte Familie.

Viele spannende Gesichtspunkte des Sterbens wurden angesprochen, auch bei der Gesprächsrunde mit dem Publikum vor Ort. So machen sich viele Gedanken über das Ende ihres Lebens, aber es wird schnell klar, wie intim dieser Themenkomplex empfunden wird. Bezeichnend war ein Ehepaar, bei dem die Frau ihren Wunsch nach totaler Einsamkeit in den letzten Stunden erwähnte. Ihr Partner war darauf hin so perplex, dies zum ersten Mal zu hören, das er es nicht kommentieren konnte.

Das zeigt sehr gut die Hauptproblematik des Hospizwesens. Wenn nicht mal Eheleute untereinander diesen Themenbereich diskutieren, wie soll man dann eine breite Öffentlichkeit schaffen? So scheint das Tabu „Tod + Sterben“ stärker in unserer Gesellschaft verankert zu sein, als es vielen bewusst ist. Dennoch es gibt, das zeigte das Feedback dieser Veranstaltung ganz deutlich, ein großes persönliches Bedürfnis, sich darüber auszutauschen oder Hilfe und Rat zu suchen.

Die Palliativmedizin ist ab diesem Semester ein Pflichtfach im Medizinerstudium geworden, ein wichtiger Schritt. Aber, so eine weitere Quintessenz im Ü-Wagen, der Arzt kann und soll nicht die alleinige Verantwortung beim Sterbeprozess tragen! Hier greift der Hospizgedanke. Die überdurchschnittlich gute Versorgung in NRW ist aber nur Insidern bekannt. Und so brachte Dr. Ohl am Ende die zu lösende Problematik auf den Punkt: Solange unsere, sonst so moderne, Gesellschaft das Sterben konsequent ignoriert und verdrängt, solange können auch die besten Hilfsangebote nicht ausreichend genutzt werden.

Es gab mal eine Zeit, kaum 100 Jahre her, da war es natürlich wie auch selbstverständlich, dass man zu Hause starb. Es war Bestandteil des alltäglichen Gemeinschaftslebens, genau wie Geburt oder Heirat. Heute, in unser wachsenden Single- und Patchwork-Family-Welt, wo Netzwerke und Communities gegen Einsamkeit kämpfen, da entsteht wieder der Wunsch nach Geborgenheit – bis hin zum Tod. Und das beim Namen zu nennen, ihm eine Öffentlichkeit zu schaffen und Lösungswege aufzuzeigen ist die Aufgabe von Vereinen wie Bonn Lighthouse. Außerdem war es wieder wohltuend zu beobachten, wie mit unseren Rundfunkgebühren verantwortungsvoll und extrem bürgernah umgegangen wird. Eine solche seriöse Aufarbeitung vielschichtiger Interessen der Hörer gibt es schlicht nicht in der privaten Radiolandschaft. Bis zum nächsten Mal „Hallo Ü-Wagen“, dann aber bitte trocken!

Hier kann man die Sendung noch mal hören: mp3 der Sendung

 


Am 10.10.2009 war Dr. Christiane Ohl zu Gast in der Sendung „Hallo Ü-Wagen“
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